Im Gegensatz zu den alten Krupp-Direktorenvillen in Bliersheim, auf dem ehemaligen Krupp-Gelände in Duisburg Rheinhausen, befindet sich diese verlassene Villa zwar in NRW, aber nicht in Rheinhausen selbst. Denn in den alten Villen von Bliersheim wohnten zwar hohe Beamte von Krupp, in dieser hier aber der Direktor des gesamten Stahlwerks höchstpersönlich, weswegen die Villa auch nicht mitten auf dem alten Werksgelände steht.
Die suche nach der Adresse
Die Adressen von Lost Places zu finden ist ja oft nicht ganz so leicht. So auch dieses mal.
Ein Freund bekam einen Tipp mit dem angeblichen Standort einer alten, verlassenen Villa in NRW und zwei Tage später an einem schönen April-Tag sitzen er, eine Freundin und ich im Auto. Dort angekommen suchen wir die umliegenden Häuser – größtenteils ebenfalls Villen – nach den uns bekannten Merkmalen ab: Holzzaun mit Stacheldraht, auf einem kleinen Hügel liegend, zwei Garagentore und ein Straßenname – nichts zu sehen.
[Anm.: Das Satellitenbild der Villa wurde ausgetauscht, da das erste nicht das richtige war.]
Die Tippgeberein hat sich in der Straße vertan, wir finden die Villa dann aber doch mittels Google Earth.
Tipp: Sucht man einen Lost Place, der vermutlich einen Pool hat, muss man eigentlich nur mittels Google Earth nach einem gammelig-grünen, eckigen Flatschen ausschau halten.
Der Krupp-Direktor: Chef meines Opas!
Nicht ein mal eine Minute nachdem wir die verlassene Villa betreten haben, entdecken wir einen dicken Ordner mit Rechnungen. Der Herr Direktor hat es sich offensichtlich ganz gut gehen lassen: Diverse Mäntel für 500 DM aus einer Hamburger Schneiderei, unzählige(!) Quittungen von Dienstreisen um die halbe Welt – teilweise in Länder die heute gar nicht mehr existieren! - und eine Golfclub-Mitgliegschaft. Für sich und seine Frau. Der Jahresbeitrag allein für sie betrung knapp 8.000 Mark. Heute wären das pro Jahr für beide zusammen locker 35.000 Euro!
Schnell stellte sich heraus, dass der ehemalige Hausherr der Villa – Herr F. – in den 1950er Jahren Direktor des Krupp-Stahlwerks in Duisburg Rheinhausen war. Genau zu der Zeit, als mein Großvater dort seine Arbeit als Werksschlosser aufnahm. Gekannt haben werden sie sich aber wohl nicht.
Das Villenleben in den 1950ern
Nicht nur die verlassene Villa an sich, auch viel von ihrer Einrichtung ist noch bestens erhalten – im Gegensatz z.B. zur Villa Anna L. Im Erdgeschoss befinden sich das alte Arbeitszimmer von Herrn F., die Garagen und sein Ankleidezimmer. Besonders angetan hat es mir ein uralter Kofferplattenspieler auf seinem massiven Schreibtisch. Tolles Fotomotiv.
Eine Etage höher – zu erreichen über eine Treppe mit rotem Teppich und goldenen Fixierungen – die Küche, das Wohnzimmer und ein paar Aufenthaltsräume. Überall Fensternischen mit kleinen Tischchen und kunstvoll geschnitzten Holzstühlen, damit auch überall spontan ein Kafeekränzchen abgehalten werden konnte. Ganz oben im Haus Bade-, Schlaf- und zwei Kinderzimmer.
Im Ankleidezimmer der Villa hingen seine Krawatten noch immer fein säuberlich aufgereiht an der mittlerweile total verschimmelten Innenschrankwand. Auf einem Tischchen neben einem Canapé steht noch ein Wählscheibentelefon samt Adressbuch und einer gruseligen Puppe. Ganz unten ist sogar noch ein Weinkeller vorhanden – allerdings leer.
Und trotz all dem Geld scheint er ein sehr belesener (Geschäfts-)Mann gewesen zu sein: Neben massig Belletristik und Jerry-Cotton-Heftchen finden sich auch Titel wie "Unternehmerisches Risiko oder Chance? Investitionen in Dritte-Welt-Länder". Mhm.
Ein wenig traurig ist es schon
Im Wohnzimmer des Herrenhauses ruhen zwei Sessel zwischen Kamin und Fenster. Auf der Fensterbank stehen sogar noch ein paar rote Rosen in einer Vase – als hätte hier erst gestern noch jemand gesessen. Man kann sich richtig vorstellen, wie Familie F. hier in dieser Villa vor knapp 65 Jahren gelebt und ihrem Alltag verbracht hat:
Er als Stahlwerksdirektor dauernd im Arbeitszimmer, sie mit einer Freundin, Kaffee und Kuchen am Fensterplatz, ein Kind mit Nanny im Garten und eins eine Etage höher in seinem Zimmer. Eventuell eine Haushälterin in der Küche. Die typische 1950er-Familie mit Geld eben.
Irgendwie traurig, denn vermutlich sind Herr F. und seine Frau schon längst gestorben. Und alles was von dieser Villa, ihrem Lebensmittelpunkt, geblieben ist, ist dieser vergessene Ort.
Kotzgrün-beige-goldene Depression
Genug Sentimentalität: Was zur Hölle war eigentlich mit den Leuten in den 1950ern los, dass sich stilistisch so eingerichtet haben? Kotzgrüner Teppich hier, beige-farbene Wände dort und bayerisch angehauchte Püppchen in rosanem Rock. Ein pink-blau gefliestes Bad. Ich bekomme Instant-Depressionen...
Bescheidenheit war wohl auch eher nicht die Stärke der Villenbewohner. Überall finden wir falsch(?)-vergoldete Rahmungen, Umrandungen und Einfassungen. Spießigkeit hoch Zehn. In einem der drei Schlafzimmer hängt gar ein Kronleuchter von der Decke.
Sein Vermögen, von dem er wahrlich genug gehabt haben dürfte, hat der "gute Mann" vermutlich in die Schweiz gebracht, man beachte das Foto. Eine schweizer Bank.
Die Sonne sinkt und allmählich wird es Abend. Wir packen langsam zusammen und und machen uns auf den Heimweg. Dabei fragen wir uns, wieso die Villa überhaupt leer steht: Weswegen sind nach dem Ableben von Herrn und Frau F. nicht ihre Kinder hier eingezogen? Oder haben ihre alte Villa zumindest verkauft? Wieso das Haus einfach verfallen lassen? Keine Ahnung. Naja – so gibts zumindest ein verlassenes Gebäude mehr für uns. Auch gut.
Update: Wie es scheint befindet sich die verfallene Villa im Besitz zweier in der Nähe wohnender Geschwister, welche sich allerdings nicht einig darüber sind, wem von beiden sie zusteht. Deswegen steht sie wohl auch leer. Wichtig: Da sie ganz in der Nähe wohnen, empfehle ich eher nicht, diesen "verlassenen" Ort derzeit aufzusuchen.
Wie immer hoffe ich, dass Dir die verlassene Villa und der kleine Ausflug in die Vergangenheit genau so viel Spaß gemacht haben wie mir. Bei Lob, Kritik und Ergänzungen, lass gerne ein Kommentar da!
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