Den Eingang finden und der Abstieg
Auch wenn dieser vergessene Ort zum selben Werk wie die Schlackebahn in Bochum gehörte, so ist er doch weit weniger bekannt und um einiges schwerer zu finden – und daher auch noch unberührter.
Hinein ins Dunkel
Wie immer fahre ich gegen Abend hier in Duisburg los und hole meinen Kumpel nahe der Ruhr-Uni in Bochum ab. Kurz darauf sind wir an – bzw. über – unserer heutigen Zieladresse angekommen. Es fängt an zu regnen und wird dunkel.
Perfekt! Denn nun verschwinden nach und nach die ganzen Leute, die sich hier herumtreiben. Oberhalb der Stollen befindet sich nämlich ein täglich von vielen hundert Menschen besuchter öffentlicher Ort. Wir aber wollen nicht gesehen werden, wenn wir in die Erde hinabsteigen.
Kurz darauf sind wir allein – los gehts! Nach ungefähr einer dreiviertel Stunde, die wir damit verbringen uns im Regen durch Büsche zu schlagen, Gullideckel zu prüfen und herumzuklettern, haben wir einen ersten Eingang gefunden. Darüber jedoch liegt ein umgestürzter Baum. Verdammt, nicht zugänglich.
Insekten, Matsch und Buschwerk
Doch nicht weit davon klafft ein weiteres, riesiges Loch im Boden. Ein Teil der Versorgungsstollen ist hier eingestürzt und nur halbherzig mit inzwischen vollkommen morschen Brettern abgedeckt. Yeah, wir haben den Eingang gefunden, ich freue mich riesig!
Also dann: Kopflampe aufsetzen, Gasmessgerät starten und Kamera fitmachen. Wir klettern hinab.
Anscheinend haben wir, was Insekten angeht, genau die richtige Jahreszeit erwischt: Unten im Stollen – über uns noch immer nur der Sternenhimmel und die Baumwipfel, da die Tunneldecke hier ja eingestürzt war – fällt uns als erstes auf, wie unglaublich viele Viecher hier herumkrabbeln. Kellerasseln, große und kleine Spinnen, flatternde Motten... und das obwohl die Taschenlampen noch nicht mal eine Minute an sind. Schnell weg hier und rein in die Stollen.
150 Jahre Schwerindustrie
Ursprünglicher Zweck der Stollen, von denen die ersten vor über 150 Jahren bei der Hüttenwerksgründung in den Boden getrieben wurden, war es die verschiedenen Werksteile – teilweise über mehrere Stadtteile Bochums hiwneg – zu verbinden. So gab es Stollen von Hamme, über Höntrop bis nach Weitmar.
Ein knappes Jahrhundert später spielten sie dann eine wichtige Rolle im 2. Weltkrieg: Einerseits fanden hier Werksangehörige Schutz vor den Bomben der Alliierten, andererseits ...später mehr dazu.
Obwohl heute noch nicht ein mal mehr die Hälfte der damaligen Stollen erhalten, geschweige denn betretbar ist, bin ich überrascht, wie weitläufig das Netz der unterirdischen Gänge ist. Schnell wird uns klar, dass wir mit nur einem Besuch auf keinen Fall alle Tunnel erkunden können.
Überall zweigen Quer- und Seitenstollen ab, mal nach links, mal nach rechts, teilweise sogar einfach nach unten. Mal schräg, mal gerade, mal krumm. Mal aus uraltem Backstein, mal aus Beton. Mal so groß, dass man mit einem Auto hindurch fahren könnte, mal so eng, dass man auf dem Bauch kriechen muss.
Gasalarm und spannende Entdeckungen
Goldbarren gefunden?
In einem Nebenstollen, der so niedrig ist, dass man geduckt gehen muss, entdecken wir einen ganzen Haufen gelblich schimmernder Barren und fühlen uns ein wenig wie Indiana Jones. Bestimmt altes Nazigold, das hier unten nur auf uns gewartet hat!
Spaß beiseite, wäre es echtes Gold, wären sie natürlich nicht verrostet. Als wir darüber hinwegklettern versuche ich mal einen der Barren anzuheben: Unglaublich schwer die Dinger.
Funfact: Gerade in der Frühphase des Stahlwerks, also in den 1840ern und 50ern, wurde viel Stahl in Barren gegossen. Damals war Stahlguss noch der neueste Shit – lange wurde sogar bezweifelt, dass Stahl überhaupt gießbar sei.
Es könnte theoretisch also gut sein, dass diese Barren hier seit damals herumliegen. Wer hat schon Lust tonnenweise Stahlblöcke aus einem Versorgungstunnel zu schleppen, in dem man nicht mal stehen kann? Mein Archäologenherz schlägt höher!
Gasalarm
Doch was ist das? Der Gasdetektor meldet eine stark erhöhte CO²-Konzentration! Schnell raus hier, zurück in den Hauptstollen. Als wir dort völlig außer Atem und verschwitzt ankommen ist die Freude groß, dass wir zumindest wieder aufrecht stehen können. Wasser trinken, Cracker essen, Pause machen.
Gemessen habe ich knapp 4.000 PPM (parts per million) Kohlenstoffdioxid – mehr als das Zehnfache des CO²-Anteils der normalen Luft.
Exkurs: Allein durch die Luftverschmutzung des Menschen – vor allem durch genau solche Schwerindustrien, wie diese hier – ist der CO²-Gehalt der Luft von ungefähr 300 auf knapp 400 PPM gestiegen!
Alte Loren auf alten Schienen
Nach einer kurzen Rast machen wir uns wieder ans Werk und erforschen weitere Teile dieses verlassenen Ortes. Nach einem kleinen Fußmarsch stoßen wir auf einige uralte Loren, welche früher wohl dazu dienten Güter durch die Stollen zu transportieren. Ein wahnsinns Fotomotiv.
Passend dazu hören wir immer wieder ein merkwürdiges, dumpfes Grollen. Was im ersten Moment ein wenig furchteinflößend wirkt ist eigentlich ziemlich banal: Die U-Bahn fährt ganz nah neben den Stollen! Angeblich soll es hier früher sogar Verbindungsstollen gegeben haben – ich persönlich glaube aber nicht daran.
Relikte des zweiten Weltkriegs
Nur hundert Meter weiter direkt die nächste Entdeckung: Eine alte Munitionslore – wow! Sie steht sogar noch heute auf ihren Gleisen. Genau weiß ich es natürlich nicht, aber vermutlich diente sie dazu Flugabwehrstellungen der Wehrmacht mit Munition zu beliefern. Wozu auch sonst?
Infos für Schlackebahnveteranen: Zum Schalthaus und zur [...]-Halle
30.000 Volt zum Schalthaus
In einem weiteren Nebenstollen entdecken wir ein altes 30kV-Kabel. Würde da noch Strom drauf sein und man berührte es, so wäre man schneller tot, als man blinzeln könnte.
Besonders interessant ist hieran die Aufschrift 30kV KABEL A / SCHALTHAUS GUSSTAHL / OFEN 2 – man beachte den Schreibfehler ;) Der Stollen hier führte also tatsächlich ein mal zur Schlackebahn bzw. den Hallen der Gussstahlfabrik. Vermutlich zu einem der Lichtbögenöfen darin:
Einsturzgefahr und die Halle, die noch in Betrieb ist
Doch noch interessanter ist: Der Tunnel kommt von derjenigen Halle des ganzen Ensembles, welche Heute noch für kulturelle Zwecke, Konzerte und ähnliches genutzt wird. Darunter gibt es ja auch noch nicht unbeträchtlich große Katakomben. Sie sollen aussehen, wie ein Parkhaus unter der Erde.
Da der Stollen an dieser Stelle stark einsturzgefährdet ist, aber anscheinend auch noch für irgendetwas gebraucht wird, wurde hier über eine Strecke von etwa 10 Metern eine Art umgedrehtes U aus Beton in den Stollen gelegt um die Decke zu stützen. Damit ist der Stollen allerdigns so niedrig, dass man nur auf dem Bauch kriechend hindruch kommt. Werden wir bei unserem nächsten Besuch mal tun – Fotos inklusive!
Ein kurzer Nachtrag: Der Stollen mit den Barren dürfte übrigens ziemlich sicher ebenfalls in die Richtung der Schlackebahn führen. Dass der Bereich, in dem sie sich befindet, gleich auf mehreren Ebenen untertunnelt ist, ist ja bekannt.
Da zwischen den hiesigen Versorgungstunneln und der Schlackebahn aber eine ziemlich große Distanz besteht, dürfte es heute aber keinerlei gangbare Verbindung mehr geben.
Die Karte der Stollen
Hier noch eine Karte der Stollenanlage, basierend auf einer Skizze meines Kumpels. Dazu sei noch folgendes gesagt:
Sie fußt rein auf unserem Gedächtnis, weshalb ich weder Anspruch auf Richtigkeit, noch auf Vollständigkeit und erst recht nicht auf Maßstabstreue erhebe! Dennoch sollte sie ziemlich exakt sein.
Das einzige was ganz sicher fehlt: Einige der zahllosen Seiten- und Nebentunnel und ihre Abzweigungen. Außerdem sind die Stollen "gestaucht" – soll heißen, sie sind in Wirklichkeit länger als es in der Karte scheint.
Unserer nächsten Erkundungstour folgt selbstverständlich auch eine aktualisierte Karte.
Achtung! Hier wird noch gearbeitet.
Ein weiteres kleines Abenteuer ergibt sich ganz von alleine: Als wir uns schon relativ weit in die Stollen vorgewagt und gerade ein gebogenes Stück Tunnel mit teilweise eingestürzter Decke hinter uns gelassen haben...
...da mehren sich klopfende Geräusche und irgendwann dimmert sogar ein schwacher Lichtschein durch die Kurve des Tunnels in unsere Richtung.
Was kann das sein? Der Teil des ehemaligen Stahlwerks, der auch heute noch in Sachen Schwerindustrie genutzt wird!
Wir machen unsere Taschenlampen aus um nicht entdeckt zu werden und tasten uns langsam weiter vor, bis wir direkt in die Keller einer großen, noch aktiven Werkshalle blicken.
Exkurs: Nach unserem letzten Abstieg in die Schlackebahn haben wir noch eine verlassene Werkshalle in Bochum erkundet. Und dabei entdeckten wir einen anderen Zugang zu diesem Tunnelsystem. Dieser endete jedoch nach wenigen hundert Metern an einer Gittertür (siehe Karte).
Nun stehen wir wieder hier – diesmal aber auf der anderen Seite des Gitters ;)
Es gibt also tatsächlich eine durchgängige unterirdische Verbindung von dem kleinen Wäldchen, in dem sich das Erdloch, das uns als Eingang diente, befindet, in die Keller des noch genutzten Werksteils. Beim nächsten Besuch gibt es auch hiervon Fotos.
Der Rückweg: Zurück an die Oberfläche
Nachdem wir nun schon einige Stunden hier unten zugebracht haben, machen wir uns langsam auf den Weg zurück. Unter der teilweise eigestürzten Decke hindurch, die große Kurve entlang und an den alten Loren vorbei.
Auch auf dem Rückweg passieren wir mehrere Nebenstollen, deren Verlauf wir bei unserem nächsten Urbex-Trip erforschen werden. Ganz am Ende müssen wir noch ein mal durch die insektengeplagte, eingestürzte Eingangsöffnung. Endlich wieder Tages... ähm Mondlicht!
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Für mich war diese Erkundung mal wieder ein neues Sahnehäubchen auf der Liste unserer besuchten Lost Places. Und natürlich hoffe ich auch, dass ich Dir, liebe(r) Leser(in), die Faszniation solcher verlassener Orte mit der Story und den Fotos noch ein mal ein wenig näher bringen konnte.
Von Standortanfragen bitte ich abzusehen, da es mir einfach zu gefährlich wäre, die Adresse herauszugeben. Nicht wenige Deckenteile der Stollen sind bereits eingestürzt. Und neben diesen Verbrüchen gibt es hier wie beschrieben einige Tunnelteile mit sehr schlechter Luft.
Und falls jemand auf den Gedanken kommen sollte: Auch nur in der Nähe der Schlackebahn nach einem Eingang zu suchen wird nicht von Erfolg gekrönt sein, sorry.
Aber bei Kritik, Anregungen, Wünschen etc. gilt wie immer: Einfach hier drunter schreiben. Schön, wenn Du bis hier her gelesen hast!
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