Die Vorbereitung
Ein Tag im Mai, Duisburg, 21 Uhr: Gleich geht es los, die Nervosität steigt. Diverse Berichte über den Sauerstoffmangel schießen mir durch den Kopf – mal ist die Rede von 20, mal gar nur von 16% Sauerstoffgehalt in der Luft dieser unterirdischen Anlage.
Die Ausrüstung ist gepackt:
- Taschenlampe, Kopflampe und Ersatzakkus
- Kamera, Stativ und zwei Objektive
- Gasmessgerät für O², CO, CO², H²S und explosive Gase
- Rucksack, schwere Stiefel, alte Klamotten und eine Mütze
- Wasser und Kekse – man weiß ja nie, wann man wieder rauskommt ;)
Ich fahre los nach Bochum um meinen Kumpel, der mich heute begleiten wird, abzuholen. Strömender Regen. Eine dreiviertel Stunde, ein mal geblitzt werden und eine kurze Verirrung über den Campus der Ruhr Uni Bochum später, kommen wir an. 23:30 Uhr, immer noch strömender Regen. Stiefel anziehen und los.
Nach einem kurzen Fußmarsch am Ort des Begehrens angekommen, zwängen wir uns durch das kleine Eingangsloch und die Matsche hinein, huschen unter ein paar mächtigen, rostigen Stahlträgern hindurch und klettern einen kleinen Abhang hinunter. Da sind wir, in der Schlackebahn. Das Gasmessgerät ist gestartet, ich setze die Kopflampe auf und bereite die Kamera vor. Auf gehts.
Wir machen uns direkt auf zum Abstieg eine Ebene tiefer. Dazu durchqueren wir den ersten Teil der Schlackebahn und steigen hinab in den "Kanal". Folgt man diesem für ein paar hundert Meter, gelangt man zum zweiten Teil der Katakomben: Dem Abschnitt mit den Werkstätten, Bunkern und einem Graffiti aus dem zweiten Weltkrieg – einem Graffiti welches den Uhrheber damals durchaus ins Gefängnis hätte bringen können. Später mehr dazu.
Der Kanal – beklemmende Enge
Wir klettern die beiden Leitern hinunter und finden uns im ersten von vier Abschnitten des Kanals wieder. Nicht mal stehen kann man hier und es steht matschiges Wasser darin. Der Kanal ist wie folgt aufgebaut:
- Backsteinmauern, zu niedrig zum Stehen
- Backsteinmauern, hoch genug zum Stehen
- Massiver Beton, hoch genug zum Stehen
- Massiver Beton, zu niedrig zum Stehen
Sobald wir unten sind, checke ich den Sauerstoffgehalt der Luft: Alles in Butter, weiter gehts. Möglichst zügig machen wir uns auf zu jenem Teil der Stollen, in dem man stehen kann. Verflucht beklemmend hier unten und trotz guter Messwerte fühlt sich die Luft nicht gerade frisch an.
Hundert Meter weiter können wir endlich wieder aufrecht laufen, sind ein bisschen außer Atem. Noch mal so weit und man kann schon wieder nicht mehr stehen.
Ich checke noch mal den Gasgehalt der Umgebungsluft – und tatsächlich: nur noch 20,3% Sauerstoff, auch der CO²-Wert ist erhöht. Schnell weiter zum Aufstieg in den hinteren, unberührteren Teil der Schlackebahn.
Die Schlackebahn: Der zweite Teil
Wir klettern nach oben, durch einen engen Schacht über eine uralte, rostige Leiter, der schon eine Sprosse fehlt. Da ist er, der zweite Teil der Schlackebahn, endlich sind wir hier – wow!
Der Bahntunnel in den die Leiter führt, ist an beiden Enden zugeschüttet, der einizige Zugang ist dieses Loch – und darüber ragt einer jener Felsbrocken, mit dem die Tunnelenden verstopft sind.
Schlechte Luft
Auch hier ist das erste was ich mache, ein Check des Gasdetektors: Auch hier nur knapp 20% Sauerstoff. Dazu kommen 1.150 PPM (Parts per Million) Kohlenstoffdioxid. Objektiv betrachtet beides natürlich nicht lebensbedrohlich, aber trotzdem ein ekelaftes Gefühl. Anfangs fühle ich mich so unwohl, dass ich nicht mal Fotos mache.
Nach ein paar Minuten geht es aber: Wir erkunden nun jeden Winkel der Schlackebahn und mit jeder Entdeckung steigt die Begeisterung. Kaum zu glauben, das eine so riesige unterirdische Anlage mitten unter einem so bekannten öffentlichen Ort in Bochum liegt.
Im hinteren Stück des Stollens hängt noch ein riesiger Fülltrichter aus der massiven Betonwand. Bis vor etwa 30 Jahren rauschte hier die noch glühende, flüssige Schlacke aus dem Stahlwerk, welches sich direkt über den Tunneln befand, direkt in die bereitstehenden Waggons der Schlackebahn. Details dazu: Siehe historisches Foto, es ist ein Original aus genau diesem Werk. Wat ne Maloche...
Relikte aus dem Krieg
Erbaut wurde die ganze Anlage im Zuge einer Stahlwerkserweiterung ab 1934. Schon damals wurde die ganze Anlage – im wahrsten Sinne des Wortes – bombensicher angelegt. Kriegsvorbereitungen ganze fünf Jahre vor dem zweiten Weltkrieg. Es war offensichtlich nicht ganz unbekannt, in welche Richtung es gehen würde.
So findet sich hier unter anderem auch ein Schutzraum aus massivsten Betonwänden (vgl. erstes Foto des Graffitis) mit gasdichter Stahltür inklusive originaler Aufschrift: Bei Fliegerangriffen offen laßen – Tür nur schließen bei Gasgefahr.
Und genau hier verewigte sich wohl auch ein Stahlwerksarbeiter mit einem Graffiti während des Krieges: Frohe Weihnachten.
"Fun"-Fact: Besonders interessant ist hieran, dass die Alliierten damals spezielle Bomben zur Zielmarkierung für nachfolgende Bomber abwarfen – welche wegen ihres Leuchtens auch "Weihnachtsbäume" genannt wurden.
Das Graffiti könnte also durchaus eine zynische Anspielung auf den Kriegszustand gewesen sein, was damals ganz locker als "Wehrkraftzersetzung" durchgegangen wäre und im Gefängnis hätte enden können.
Die Werkstätten: Unberührt
Der zweitinteressanteste Raum in diesem Lost Place war neben den Haupttunneln eine Art Werkstatt, in der anscheinend bis zuletzt Arbeitsstiefel repariert wurden. Noch heute steckt ein Schuhmachereisen im Schraubstock, noch immer stehen die alten Stiefel auf der Werkbank. Tja, damals war noch nix mit Wegwerfgesellschaft.
In einem weiteren Raum finden sich seltsame "Milchkannen", wie vom Bauernhof – so dachten wir anfangs jedenfalls. Wir untersuchen sie und finden diverse Ventile und Druckkammern – diese Gerätschaften müssen irgendetwas mit Gas zu tun haben. Und tatsächlich: Karbid-Schweißgeräte! Eine Technik die schon in den 1930ern aufgegeben wurde – wieso stehen die Dinger ganze 80 Jahre später noch immer hier?
Exkurs: Man legte ein wenig Karbid in einen Drahtkorb im Inneren dieser Schweißgeräte, welches dann mit etwas Wasser zu Ethin, einem Gas mit dem man Schweißen konnte, reagierte. Wirklich urzeitlich. Mein Großvater hat mir früher von seinem ersten Fahrrad erzählt, welches eine Lampe hatte, die genau so funktionierte.
Der Weg zurück – Kanal die Zweite
Je länger wir hier unten unterwegs sind und fotografieren, desto wohler fühle ich mich, die Anspannung verfliegt. Trotzdem behagt mir der Gedanke nicht noch mal durch den Kanal zu müssen.
Als wir wieder hinabsteigen fällt mir als erstes auf, dass sich die Luft hier unten tatsächlich besser anfühlt, als im hintersten Winkel der Schlackebahn. Ich glaube sogar einen Luftzug zu spüren, doch wie kann das sein? Entweder ist es Einbildung, oder die Luft der hinteren Schlackebahn ist tatsächlich schlechter, als hier, am tiefsten Punkt der Anlage.
Da wir es nun nicht mehr ganz so eilig wie auf dem Hinweg haben, machen wir noch einige Fotos: Besonders die strahlend weißen Versinterungen (siehe oben), die durch das Wasser der Jahrzehnte entstanden, sind ein tolles Motiv.
Die Geschichte der Schlackebahn und des Stahlwerks
Gerne würde ich an dieser Stelle etwas über die Geschichte des Stahlwerks schreiben. Doch dadurch würde zu viel über den genauen Standort preisgegeben. Wirklich schade, denn seine Geschichte ist unglaublich interessant.
Doch so viel sei gesagt: Mehr als eine historische Erfindung von weltweitem Einfluss wurde hier gemacht. Mehr als eine historische Persönlichkeit der selben Tagweite war schon hier. Und mehr als unrühmlich war seine Geschichte während der insgesamt drei Kriege, die es mitgemacht hat.
Heute merkt man kaum noch etwas davon – es sei denn, man weiß, wo man suchen muss.
Von Angst und Überwindung: Viel Spaß beim Lachen
So liebe Freunde, jetzt dürft ihr mich noch ein wenig auslachen. Denn nach all den Geschichten über die sauerstoffarme, CO²-haltige Luft dort unten hatte ich ne gehörige Portion Schiss, bis in die letzten Winkel der Schlackebahn vorzudringen. Und wir haben es auch tatsächlich erst getan, nachdem wir einen Gasdetektor am Start hatten. Obwohl wir natürlich nicht die ersten Menschen dort unten waren.
Und trotzdem: Wäre mein Kumpel nicht direkt nach dem Betreten der Bahntunnel, mit den Worten "Dann gehn wa aber jetzt direkt runter, ne?!", zum Kanaleingang gestapft ...ich weiß nicht, ob ich tatsächlich hinab gestiegen wäre. Und auch als wir schon unten waren, wäre ich anfangs am liebsten auf dem Absatz wieder umgekehrt. Aber im ersten Teil des Kanals wärs dafür sowieso zu eng gewesen.
Doch die Überwindung hat sich gelohnt: Der mit Abstand faszinierendste "Lost Place", den ich bisher fotografieren durfte. Allein die historischen Relikte sind schon eine "Exploration" wert.
Die genauen Gasmesswerte
Falls jemand genau so viel Schiss in der Buchse hat wie ich und wissen möchte, was wir genau gemessen haben:
Sauerstoff (O²): | Knapp 20% (Normal wären ca. 21%) |
Kohlenstoffdioxid (CO²): | 1.150 PPM (Normal wären ca. 380 PPM) |
Kohlenstoffmonoxid (CO): | 1 PPM (Normal wäre annähernd nichts) |
Schwefelwasserstoff (H²S): | Nix :) |
Explosive Gase: | Nix :) |
Diese Werte gelten für den hinteren Bereich und den Kanal. Im vorderen Teil war die Luft genau wie über Tage, nur viel stickiger.
Disclaimer: Nicht nur weil mein Gasmessgerät nicht kalibriert war – aber eben auch deswegen – übernehme ich keinerlei(!) Garantie für die gemessenen Werte! Dazu kommt, dass sich solche Dinge mit der Zeit ändern können!
Infografik und Karten
Ich habe mich spaßeshalber mal im Bau einer Infografik versucht. Sie enthält unter anderem eine illustrierte Karte der Schlackebahn und ihrer Tunnel, so dass Ihr genau sehen könnt, welches Foto wo entstanden ist. Viel Spaß damit!
Der dritte Streich, er folgt sogleich
Neben einigen weiteren, befindet sich in der Nähe noch eine andere Stollenanlage, deren älteste Teile bereits lange vor dem Jahr 1900 erbaut wurden. Versorgungstunnel zur Verbindung verschiedener Werkshallen, teilweise sogar verschiedener Werksgelände.
Wir haben zwar schon mal einen Blick hineingeworfen, aber da es schon weit nach Mitternacht war, noch nicht alles erkundet und auch nicht fotografiert. Der dritte Teil dieser Serie wird sich dann diesem Stollenssystem widmen.
Und das gibt es beim nächsten mal: Tunnel in denen alte Loren – eine speziell für den Munitionstransport – rostig auf ihren Schienen stehen, ellenlange und uralte Stollen und Verbindungsschächte. Next Time. Falls Du dann eine E-Mail erhalten möchtest, trage dich einfach hier ein.
Update: Der Artikel zu den verlassenen Versorgungsstollen ist nun erschienen!
Eine kurze Bitte
Zum Schluss noch eine Frage: Magst Du solche längeren, detaillierteren Artikel, eventuell sogar mit einer Infografik zur jeweiligen Location? Oder ist Dir das zu viel des Guten und eher ermüdend beim Lesen?
Ich würde mich wirklich sehr freuen, wenn du mir kurz einen Kommentar dalassen würdest, ob in Zukunft mehr solcher langen Stories erscheinen sollen, oder ob es Dir kurz und knackig lieber ist. Natürlich freue ich mich immer auch über Ergänzungen, eigene Erfahrungen und Kritik – immer raus damit!
Wie üblich hoffe ich, dass der Ausflug in die Schlackebahn – den für mich bisher spannendsten aller Lost Places – auch Dir Spaß gemacht hat! Mich jedenfalls hat sie gepackt. Da hat sich auch das Geblitztwerden auf der Hinfahrt gelohnt.
Weiterhin viel Spaß beim Urbexen, liebe Freunde!
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