Sonntag Nachmittag, zu viert sitzen wir im warmen Auto, draußen regnet es. Der Plan: Zuerst das Haus des Apothekers anschauen, dann weiter zu einem verlassenen Bauernhof, der auf dem Weg liegt. Gerade bei ersterem scheint es sich um einen kleinen, aber feinen „Lost Place“ zu handeln. Nach etwa 45 Minuten Fahrt und einer falschen Autobahnausfahrt haben wir die gesuchte Adresse erreicht. Parken, loslaufen.
Das Apothekerhaus bzw. der verlassene Bauernhof
Dort angekommen, stellen wir als erstes fest, dass das Haus des Apothekers gar kein Haus, sondern viel mehr ein Bauernhof ist. Ein U-förmiges Gebäude mit zugehöriger Scheune. Sehr gut.
Ein Eingang ist schnell gefunden: Drinnen herrscht das reinste Chaos, überall stapeln sich Kisten. Darin allerlei Dinge die sich sammeln lassen: Modellbaukram, Bücher, Filme, Medikamentenverpackungen. Der ehemalige Stall des Hofs ist – bis auf den schmalen Gang, in dem man früher einmal an den Tieren vorbeiging – fast bis zur Decke damit angefüllt.
Von Drogen und Medikamenten
Das erste was uns auffällt: Unzählige Packungen von Medikamenten. Wirklich abertausende. In jedem Raum. Darunter auch einige deren Namen den meisten bekannt sein dürften: Diazepam, Tavor, Codein, Valium und vieles mehr dieser Richtung.
Ein Freund von mir findet sogar ein Betäubungsmittelbuch in dem fein säuberlich handschriftlich vermerkt ist, welche Person an welchem Tag wie viel von welchem Schmerzmittel bekommen hatte. Darin fand sich so einiges Interessantes. Ein Foto vom Inneren des Buches gibt’s hier aufgrund der Klarnamen der Patienten aber leider nicht. Tut mir leid.
"Fun"-fact: Die auf dem Foto gezeigten Medikamente – Diazepam und Tavor – zählen zur Gruppe der Benzodiazepine. Das sind starke Beruhigungsmittel. Bei einer Abhängigkeit ist der Entzug schlimmer, als z.B. der von Heroin.
Hinter dem Wohngebäude und dem ehemaligen Stall findet sich die Scheune. Hier ruhen einige perfekt erhaltene Bücher. Darunter Titel wie Deutsches Arzneibuch samt diverser Ergänzungsbänder, oder die Selbstmedikationsliste. Soso.
Die neuesten Bücher sind von 1998 – der Bauernhof steht also vermutlich knappe 20 Jahre leer. Die noch vorhandenen Möbel sind jedoch so alt, das sie auch damals schon aus der Mode gewesen sein dürften. Der Muff von 1.000 Jahren.
Ein ziemlich einsamer Apotheker? Pornos!
Doch zurück ins Hauptgebäude: Die Person, die hier anscheinend ihren Lebensabend verbracht hat, scheint relativ einsam gewesen zu sein. Jedenfalls könnte es so gewesen sein: Überall liegen, hängen und stehen Pornos!
VHS-Kasseten, Bücher, Poster und sogar selbst angefertigte Collagen. Besonders oft vertreten ist Desert Love. Anscheinend war der Gute auch ein Fan von Yum-Yum, Sissi und Helena. Auch hier das selbe, wie bei den Medikamenten: In jedem Raum, unzählige Kisten.
Giftkapseln: Sokrates' Tod
Während ich Fotos mache, entdeckt einer meiner Freunde etwas besonderes: Kleine Glaskapseln mit einer Flüssigkeit darin. Aufgedruckt sind ein Totenkopf und das Wort Poison. Der Name des giftigen Inhalts: Coniin. Nie gehört.
Weiterer "Fun"-fact: Der erste bekannte Mensch, der sein Leben durch dieses Gift verlor, war der griechische Philosoph Sokrates, als man ihn vor exakt 2415 Jahren zwang, den bekannten Schierlingsbecher zu trinken. Der Schierling ist ein Pilz, dessen Gift eben jenes Coniin ist. Die tödliche Dosis beträgt 500 mg.
Sie erinnern ein wenig an ebenjene Zyankalikapseln, die man aus den alten Agentenfilmen kennt, auch wenn sie etwas größer sind. Ich denke unweigerlich an Hitler und die Nürnberger Prozesse...
Produziert wurden sie vom auch heute noch florierenden Pharmakonzern Merck. Auf dem Foto liegen zwecks Größenvergleich ein paar normale, ebenfalls dort gefundene Standard-Pillen daneben. Heute wird es nicht mehr hergestellt.
Unwillkürlich entspinnen sich in meinem Kopf Gedanken von einem älteren Typen, der den ganzen Tag auf Drogen entspannt, Pornos guckt und Messie-Zeug sammelt. Und wenn es irgendwann mal zu viel wird: Man hat ja noch die finale Rettungskapsel. Ja ich weiß, ist Schwachsinn und respektlos. Sorry.
Unzählige Apothekerflaschen
Außerdem finden wir unzählige dieser gläsernen, braunen Apothekerflaschen, in denen früher (oder auch heute noch?) Medikamente bzw. deren Zutaten aufbewahrt wurden. Die meisten aus klassischem Braunglas, einige auch in weiß. Manche wenige Zentimeter klein, andere größer als eine normale Glasflasche.
Eines haben sie jedoch gemein: Fast alle enthalten noch ihre Füllung. Pulver, Flüssigkeiten und Kristalle in allen erdenklichen Farben und Mengen. Gerüche hab ich mich nicht getraut zu checken.
Besonders auf dem Dachboden, der nochmal krasser vollgestopft ist, als die unteren Etagen, finden sie sich kistenweise. Anfangs hatte ich gehofft, überhaupt ein paar solcher Apothekenfläschchen fotografieren zu können und nun liegen sie hier bergeweise.
Was soll das alles?
Ich finde es eigentlich ziemlich krass, dass das alles – Giftkapseln, Medikamentenpackungen und Chemikalien aller Couleur – einfach so und quasi frei zugänglich in einem alten Bauernhof in der Gegend herumliegt.
Aber mir soll's recht sein, interessant ist es allemal! Weswegen wir hier auch so viel Zeit verbracht haben, dass wir es vor Einbruch der Dunkelheit nicht mehr zum zweiten „Lost Place“ – dem eigentlichen Bauernhof – schaffen. Egal, bleibt auf der Liste und kommt demnächst!
Doch eine Frage bleibt: Wozu das alles? Selbst wenn man Apotheker ist... Wozu benötigt man zuhause – und nicht etwa in seiner Apotheke – so viele Chemikalien und Packungen von Medikamenten? (Und so viele Pornos..?)
Nachtrag: Hier noch eine kurze Ergänzung, um Missverständnissen vorzubeugen. Es handelt sich lediglich um MedikamentenPACKUNGEN. Also um bedruckte Pappe – keine Tabletten, kein Drogenhort. Die Giftkapseln findet dort auch zu 100% (!) niemand mehr.
11 Kommentare